Update zur Erreichbarkeit in der Freizeit
zurück zur ÜbersichtDas Bundesarbeitsgericht erklärte nun in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung das Urteil des LAG Schleswig-Holstein zur Unerreichbarkeit in der Freizeit für fehlerhaft.
(Hinweis: BAG, Urteil vom 23. August 2023, Az: 5 AZR 349/22; Vorinstanz: des LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 27.September 2022, Az: 1 Sa 39 öD/22)
Das BAG entschied hierbei, dass die Abmahnung des Notfallsanitäters ebenso wie der Abzug der Stunden auf dem Arbeitszeitkonto rechtmäßig erfolgt sind. Dazu führte das Gericht aus, dass der Arbeitgeber sich an den in Frage stehenden Tagen nicht im Annahmeverzug befunden habe, da er seine geschuldete Arbeitsleistung als Notfallsanitäter nicht ordnungsgemäß, d.h. tatsächlich - wie per SMS angewiesen - um 06:00 Uhr angeboten hat (§ 294 BGB). Somit musste auch die ausgesprochene Abmahnung nicht aus der Personalakte gestrichen werden.
Das LAG Schleswig-Holstein hatte noch argumentiert, dass Beschäftigte über ihre Erreichbarkeit in der Freizeit selbst entscheiden können und SMS vom Arbeitgeber, die in der Freizeit eingehen, erst bei Dienstbeginn gelesen werden müssen. Das BAG ist nun anderer Auffassung. Es weist darauf hin, dass der Arbeitnehmer im Rahmen seiner geschuldeten Mitwirkungspflicht nicht ununterbrochen für den Arbeitgeber erreichbar sein muss und er frei entscheiden kann, wann und wo er die SMS lese, mit welcher der Arbeitgeber ihn über die Konkretisierung des Springerdienst informiert. Dadurch sei er keineswegs verpflichtet, den gesamten Tag auf sein Mobiltelefon zu schauen und sich dienstbereit zu halten. Die Kenntnisnahme zur Arbeitseinteilung beeinträchtige die Freizeit nicht, sondern sei zumutbar und stellt keinen gravierenden Eingriff in die Erholungszeit dar.
Die obersten Arbeitsrichter betonen, dass es sich bei der Kenntnisnahme dieser Weisung zum Dienstbeginn nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne handele. Die Ruhezeit werde durch die Kenntnisnahme auch nicht unterbrochen. Nicht nur, dass der Arbeitnehmer frei wählen könne, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nimmt, auch sei der Moment der Kenntnisnahme zeitlich so geringfügig, dass er die Nutzung der freien Zeit nicht wirklich beeinträchtige.
Wichtig ist allerdings, dass die rechtliche Beurteilung durch das BAG eine bestehende Betriebsvereinbarung berücksichtigt, die unter anderem vereinbarte, dass die Arbeitnehmer neben ihren regulären Diensten auch zu „Springerdiensten“ eingeteilt werden. In der Entscheidung des LAG hat dies noch keine Rolle gespielt, das BAG hat dem jedoch erhebliche Bedeutung zugemessen. Das Urteil dürfte damit ebenfalls große Auswirkung auf die Gestaltungsfreiheit bei Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Arbeitszeit haben.
Offen bleibt bei der Entscheidung weiterhin, in welchem Umfang Weisungen während der Freizeit des Arbeitnehmers erteilt werden dürfen, um noch von dessen arbeitsvertraglicher Mitwirkungspflicht erfasst zu sein und deren Kenntnisnahme zugleich nicht als Arbeitszeit zählt. Da eine SMS auf maximal 160 Zeichen begrenzt ist, nimmt das Lesen einer SMS regelmäßig sehr wenig Zeit in Anspruch, sodass das Recht des Arbeitnehmers seine Freizeit frei zu gestalten regelmäßig nicht beeinträchtigt wird. Anderes könnte jedoch für eine kurze E-Mail gelten.
Zudem folgt aus dem Urteil des BAG wohl keine Verpflichtung der Arbeitnehmer zur ununterbrochenen Erreichbarkeit während ihrer Freizeit. Arbeitnehmer dürften sich aber zukünftig nicht mehr darauf verlassen, dass Freizeit auch ausschließlich freie Zeit ist. So müssen sie nun - im Rahmen der betriebsüblichen Regelungen, die hier nicht als betriebliche Übung zu verstehen ist - auch während ihrer Freizeit Weisungen ihres Arbeitgebers zur Kenntnis nehmen und auch befolgen. Tun Arbeitnehmer dies nicht, gehen sie das Risiko einer Abmahnung, sowie von Vergütungseinbußen ein.